Interview mit 44flavours
Das Berliner Künstlerduo 44flavours, bestehend aus Sebastian Bagge und Julio Rölle, erschafft seit 2003 intuitive Kunstwerke in den Bereichen Malerei, Keramik, Skulptur, Druck und Objektkunst. Sie bemalen Fundstücke wie Holz, Stein oder Vasen und integrieren ihre Kunst in den urbanen Raum. Ihr Stil vereint kräftige Farben, Pop-Art-Elemente, Op-Art, Figuration und Symbole. Der kreative Prozess basiert auf einem spontanen Zusammenspiel, bei dem jedes Werk als Reaktion auf das vorherige entsteht. 44flavours hinterfragt in ihrer Arbeit Identität und Raum, wodurch ihre Kunst zu einer lebendigen Entdeckungsreise wird.
Website: 44flavours.com
Instagram: @44flavours
Photo Credits: 44flavours
Wie seid ihr zu eurer künstlerischen Tätigkeit gekommen und wann?
Wir haben uns während der Aufnahmeprüfung zum Studium für Grafikdesign an der FH Bielefeld kennengelernt. Zuvor hatte ich bereits zwei Semester Kunst an der Beaux-Arts in Brest und in Toulouse studiert. Sebastian hatte diverse Praktika im Bereich Grafikdesign absolviert. Sebastians Vater ist Schriftsetzer und hat lange Zeit in der Druckvorstufe gearbeitet, daher hat er sich früh für Gestaltung und Typografie interessiert. Er war schon sehr früh Teil verschiedener Subkulturen, wie der Inline-Skate-Szene der 90er Jahre in Oldenburg und Hamburg.
Ich, Julio, bin seit 1995 aktiv in der Graffiti-Szene und habe als Jugendlicher Skateboard gefahren (seit ein paar Jahren skate ich auch wieder). Ich denke, dass uns die Subkulturen der 90er Jahre geprägt haben, und die Idee, gemeinsam als Community zu funktionieren, hat uns schon früh beeinflusst. Diese Erfahrung und das gemeinsame Interesse an Nischen waren wahrscheinlich auch der Grund dafür, dass wir uns auf Anhieb gut verstanden haben und als Kommilitonen in eine WG gezogen sind. Ein Jahr später haben wir uns dann als Partner für unser erstes gemeinsames Projekt zusammengetan: das 44flavours Magazin, eine Publikation, in der wir unterschiedliche kreative Positionen in einer Ausgabe zusammengebracht haben. Das Magazin wurde dann auf Ausstellungen, in denen wir auch schon eigene Werke gezeigt haben, veröffentlicht. Zuerst waren es jeweils eigene Werke, die wir kombiniert haben, und irgendwann haben wir gemeinsame Werke geschaffen. 2008 haben wir uns nach dem Studio offiziell als Firma gegründet und ein Atelier als Künstlerduo in Berlin eröffnet. Anfangs haben wir noch viele kundenorientierte Projekte im Designbereich umgesetzt und gleichzeitig Ausstellungen mit persönlichen Arbeiten gezeigt. Das Verhältnis hat sich dann irgendwann zugunsten unserer eigenen Kunstwerke verschoben, die wir nach und nach immer besser verkaufen konnten. Heute leben wir von dem Verkauf unserer Werke, Projekten, die wir im öffentlichen Raum umsetzen, und ab und an auch von angewandten Designprojekten für Kunden.
War das euer Traumberuf schon von Kindheitstagen an?
Als kleiner Junge wollte ich Astronaut werden. Später, als Jugendlicher, träumte ich davon, Rechtsanwalt zu werden, weil ich mich für Menschenrechte einsetzen wollte. Ich bin froh, dass ich mich letztendlich für die Kunst entschieden habe. Sebastian wollte, glaube ich, Feuerwehrmann werden! Später dachte er jedoch ernsthafter darüber nach, Tischler oder Produkt-Designer zu werden. Heute spiegelt sich vieles von diesen frühen Ideen im Beruf des Künstlers wider. Dieser vereint unterschiedlichste Bereiche und Fähigkeiten. Ideen zu entwickeln, Dinge zu erschaffen, sich für eine Sache einzusetzen, im übertragenen Sinne in einer Rakete zu sitzen oder Brände zu löschen.
Wie läuft die Vorbereitungsphase bei einem Projekt ab? Wie lange dauert durchschnittlich ein Projekt?
Das ist sehr unterschiedlich. Manche Projekte planen wir sechs Monate bis ein Jahr im Voraus, andere entstehen spontan. Häufig dauert die Planung im Schnitt drei bis sechs Monate, während die Umsetzung je nach Aufwand innerhalb von ein bis zwei Wochen oder sogar in ein bis drei Tagen abgeschlossen sein kann. Manchmal möchten wir uns auf einen Ort und dessen Umgebung einlassen und komplett vor Ort improvisieren. Solche Projekte sind besonders spannend für unsere Weiterentwicklung – vorausgesetzt, man vertraut uns vollständig. Auch hier bereiten wir uns vor und definieren vorab Parameter, um zumindest einen Startpunkt zu haben. Solche Projekte bringen oft unvorhergesehene Erkenntnisse und ermöglichen es uns, neue Herangehensweisen zu entwickeln.
Die klassische Vorbereitung für ein Projekt im öffentlichen Raum umfasst:
- Erste Gespräche über Ideen
- Besichtigung des Ortes
- Skizzen und präzise Entwürfe
- Planung der Umsetzung
- Materialbeschaffung
Diese Schritte laufen je nach Zeitrahmen teilweise auch parallel. Bei Ausstellungsprojekten sieht es oft ganz anders aus. Hier arbeiten wir teilweise schon ein Jahr im Voraus an Werken, die entweder von uns selbst oder von Kurator*innen ausgewählt und zusammengestellt werden. Häufig werden diese Arbeiten dann in Kombination mit Installationen räumlich präsentiert.
Was sind häufig die größten Schwierigkeiten?
Es treten häufig Probleme mit dem Aufmaß auf. Selbst die detailliertesten Pläne von Architekten weichen oft von der Realität ab. Am besten fährt man selbst hin und misst nach – das erspart am Ende Arbeit. Teilweise mussten wir ganze Entwürfe ändern, als wir vor Ort feststellten, dass die Maße nicht stimmten. Das ist anstrengend. In solchen Fällen ist ein Projekt, bei dem wir komplett improvisieren können, besser. Allerdings kann das andere Probleme mit sich bringen, da man im richtigen Flow sein muss, um eine starke Arbeit umzusetzen. Dabei helfen technische Routine und Erfahrung. Allerdings ist Routine manchmal auch hinderlich für den künstlerischen Schaffensprozess und erfordert einen Balanceakt.
Welches war bisher euer größtes/schönstes Projekt?
Es gibt mehrere Projekte, die wir zu unseren Favoriten zählen. Wir denken jedoch, dass das Projekt in Spitzbergen, bei dem wir 2019 von der damaligen Kuratorin Eli Skatvedt von Artica eingeladen wurden, unsere Installation „Down to Earth“ umzusetzen, ziemlich wichtig für die Entwicklung unserer Position war. Die Erfahrung der Reise, aber auch die Überlegung, wie wir dort mit der atemberaubenden Landschaft interagieren, war sehr aufregend und lehrreich. Zuletzt waren wir im Herbst 2024 zur Biennale nach Havanna eingeladen. Das Projekt war sehr intensiv, erfahrungsreich und absolut spektakulär. Wir hatten einen spannenden Austausch mit vielen internationalen Künstlerinnen, aber vor allem auch mit vielen lokalen Akteurinnen. Insgesamt haben wir in zwei Wochen vier Projekte umgesetzt, kuratiert von Andrea Sunder-Plassmann, Tomasz Wendland, Pedro Ocejo und natürlich Nelson Ramirez. Trotz aller Schwierigkeiten, die diese Reise mit sich brachte, war es am Ende sehr lehrreich und unglaublich inspirierend. Dank der Unterstützung der Stiftung Michael Horbach aus Köln, unseres Sammlers Patrick van Aaken und natürlich eurer Materialunterstützung konnten wir dieses Projekt möglich machen. Das dritte Projekt, das wir nennen würden, ist unsere Installation im öffentlichen Raum „A Topographic Landscape, Painted“ in Logroño, Spanien, für das Concentrico Festival für Kunst und Architektur, kuratiert von Javier Peña und finanziert vom Goethe-Institut Madrid. Wir haben eine dreidimensionale Malerei auf einem Parkplatz umgesetzt und diesen mit unserer Arbeit wieder zum Leben erweckt. Der Moment, als die Installation von unterschiedlichen Menschen aktiviert wurde, war für uns ein absoluter Höhepunkt unserer Karriere – sehr emotional! Es ist ein tolles Gefühl, wenn man sieht, dass ein Projekt, das man sich in der Theorie überlegt hat, auch praktisch angenommen wird.
Was war die bisher größte Herausforderung?
Die oben genannten Projekte waren alle aufwendig, doch besonders herausfordernd war unsere Reise nach Kuba. Es ist dort unglaublich schwierig, Materialien zu beschaffen – praktisch alles muss mitgebracht werden. Das führte zu einem enormen Aufwand, sowohl bei der Organisation als auch bei der Umsetzung. Am Ende lief alles anders als geplant, aber dennoch erfolgreich. Ein weiteres sehr aufwendiges Projekt war unsere Ausstellung bei Kennedy Van der Laan, einer Anwaltskanzlei, die eine beeindruckende Kunstsammlung besitzt und jährlich vier Ausstellungen kuratiert. Dort haben wir im März 2024 eine äußerst komplexe Wandinstallation realisiert. Die Umsetzung erforderte präzise Planung und intensive Arbeit vor Ort.
Wie fühlt es sich an, wenn ein Kunstwerk vollendet ist?
Es ist ein tolles Gefühl und sicherlich die Ernte langer Arbeitsprozesse. Gleichzeitig ist es jedoch auch von Melancholie begleitet, da der Prozess selbst Teil der Arbeit ist. In dem Moment, in dem das Werk vollendet ist, steht es anderen zur Verfügung, während es für uns abgeschlossen ist. Sobald es dokumentiert und vielleicht noch veröffentlicht wird, richten wir unsere Aufmerksamkeit bereits anderen Ideen zu und entwickeln unsere Position weiter. Oft fehlt die Zeit, die Arbeit vernünftig zu reflektieren. Häufig wird sie dann ausgestellt oder an einem anderen Ort im öffentlichen Raum gezeigt. Wir kehren dann selten zurück, um das Werk zu betrachten – eher aus pragmatischen Gründen, nicht weil wir es nicht sehen möchten. Andere Arbeiten werden für einen bestimmten Zeitraum ausgestellt, im besten Fall verkauft und dann bei jemandem installiert. In anderen Fällen werden sie eingelagert und bei späteren Ausstellungen wieder hervorgeholt und mit anderen Arbeiten neu kombiniert. Manche Arbeiten verbringen Monate, manche sogar Jahre im Lager. Es ist wichtig, loszulassen. Gleichzeitig ist es aber auch sehr bereichernd, ältere Arbeiten wieder anzusehen und sie neu zu reflektieren. Daher war es für uns auch so wichtig, unser erstes Buch herauszubringen. Im Zuge dessen haben wir unsere Arbeiten noch einmal komplett gesichtet, reflektiert und aus einer neuen Perspektive betrachtet. Wir haben viel aus diesem Projekt gelernt. Wir denken, dass dies insgesamt eine sehr wichtige Erfahrung für uns als Künstlerduo war, da wir die letzten 20 Jahre unserer Position rekapituliert haben.
Wie würde euer Traumprojekt aussehen?
Im Moment würden wir uns unglaublich darüber freuen, wenn wir mal so richtig Zeit hätten, eine neue Arbeit in aller Ruhe zu planen und zu produzieren. Recherche und Atelierzeit sind sehr kostbar. Der Traum wäre, eine Förderung oder ein Stipendium zu bekommen, das uns mehr Zeit verschaffen würde, um uns weiterzuentwickeln. Was neue Herausforderungen betrifft, könnten wir uns sehr gut Installationen, wie Kunst-am-Bau- Projekte, vorstellen – Skulpturen im öffentlichen Raum, die nicht nur temporär, sondern dauerhaft in die Architektur integriert sind.
Was macht euch bei der Arbeit am meisten Spaß?
Wir mögen den Austausch mit anderen, die Zusammenarbeit, der gemeinsame Prozess, aber auch die Momente bei denen wir komplett in die Malerei oder Keramik eintauchen und vertiefen können, fast schon meditativ und dann aber auch wieder die Reflexion darüber im Austausch mit anderen.
Was begeistert euch an unseren Farben?
Die Deckkraft und dennoch die Fähigkeit atmungsaktiv zu sein, dass sie naturbasiert, mineralisch ist. Der Farbauftrag, die Tiefe des Farbtons, über die Deckkraft und das matte, stumpfe, teils Erdige der Töne. Dennoch die Möglichkeit, tolle Kontraste zu schaffen.
Welches ist euer KEIM Lieblingsprodukt?
Soldalit!